Kurzzusammenfassung der Untersuchungen (Stand Februar 2023), ehemals auf "Aktuelles"-Seite hinterlegt.
Im Auftrag der Stadt Bad Waldsee fand vom 22. Februar bis zum 22. April 2021 eine Rettungsgrabung im Vorfeld des Anbaus eines Verwaltungsgebäudes an das barocke, ehemalige Franziskanerkloster statt. Vorausgegangen waren mehrtägige baubegleitende Untersuchungen in den Jahren 2019-21 im Zusammenhang der vorbereitenden Arbeiten. Gerade vor dem Hintergrund des aktuellen DFG-Projekts Auswirkungen mittelalterlicher bis frühneuzeitlicher Stadtentwicklung auf Gewässer am Beispiel von Bad Waldsee von besonderem Interesse ist die Interaktion zwischen Stadt und See. Die Aufarbeitung der Dokumentation wurde im Januar 2023 abgeschlossen.
Die Grabung Bad Waldsee, Hauptstr. 10-12 ist von besonderer Bedeutung für die Geschichte von Stadtbefestigung und -erweiterung, aber auch für die Beziehung Stadt-Stadtsee, welche sich auf dem nicht überall ausreichend stabilen Baugrund der Spitalbucht deutlich bemerkbar macht. Die Besiedlung auf dem Grabungsareal lässt sich lediglich bis in das 12./13. Jahrhundert n. Chr. zurückverfolgen, ältere Besiedlungsphasen lassen sich nicht nachweisen. Tatsächlich reichte der heutige Stadtsee in früheren holozänen Zeiten weit in die Grabungsfläche und nach Süden und Südwesten sogar über sie hinaus, wobei sich die Chronologie mit rein archäologischen Methoden nicht näher spezifizieren lässt.
Die vorstädtische Besiedlung weist zweiphasig Pfostenbauten in der Ausrichtung der Waldseer Hauptstraße auf, außerdem einen Komplex wohl von Materialentnahmegruben in der Seekreide, mit dem weitere Pfostengruben korrelieren könnten. Die erste Stadtmauer wird im späten 13. Jh. bzw. "um 1300" errichtet - möglicherweise etwas später als die Erwähnung eines Stadtgrabens im Jahr 1283. Tatsächlich war der Stadtmauer an dieser Stelle weder in Richtung See noch (auf den ersten gut drei Metern) in Richtung Wurzach ein echter Stadtgraben vorgelagert. Die nach NNW verlaufende seeseitige Mauer knickt am Grabungsrand Richtung N um, was weiterführende Überlegungen zum Mauerverlauf erlaubt. An der Knickstelle, an der sich die Maueroptik im Aufgehenden hin zu Großwackenmauerwerk verändert, könnte ein Stadtmauerturm bestanden haben. Die letzten gut 10 m des ummauerten Areals Richtung Wurzach blieben zunächst frei von Massivbebauung. Sie dürften als Gartenareal genutzt worden oder lediglich mit leichten Nebengebäuden bestanden gewesen sein.
Kurz nach 1403 wird die zuvor unbefestigte Wurzacher Vorstadt in den Mauerring miteingeschlossen. Interessanterweise ist diese Erweiterung im Grabungsareal auch eine etwa 9 m messende Erweiterung Richtung See. Dies mag dem Umstand geschuldet sein, dass hier schon während des 14. Jahrhunderts ufernahe Bebauung auf Höhe der Altstadt entstanden war. Diese Bebauung ist, ohne dass vor der Fundauswertung genauer spezifizieren zu können, wohl in handwerklichem Kontext zu sehen. Die Funde von verglasten Steinen, die auf Glasmacherhandwerk hinweisen, die ab dem 15. Jahrhundert in verlagertem Kontext auftreten, gehören sicher zu in einiger Entfernung betriebenen Glasöfen. Dass in der Wurzacher Vorstadt (vermutlich nur bis zu deren Befestigung nach 1403) tatsächlich Glas produziert wurde, dürfte sich in der bereits 1407 im Kontext seiner Ersterwähnung überlieferten Bezeichnung "Gluthafentor" für das Wurzacher Tor überliefert haben.
Wohl erst zwei Jahrzehnte nach dem Umschluss der Stadtmauern erfolgte im Zusammenhang mit dem Grundstückserwerb durch das Chorherrenstift Schussenried die bauliche Erschließung des Areals. Der als "Schussenrieder Fluchthof" bekannte Klosterhof ist als mehrteiliger Gebäudekomplex klar erkennbar, das hochwertige Fundmaterial - genannt sei die Ofenkeramik - passt gut dazu. Außerhalb der Stadtmauer, an diese gelehnt, wurde, sehr wahrscheinlich durch den Klosterhof, ein Ofen betrieben. Im SSO des Klosterhofs lässt sich ein Wegverlauf und weitere Bebauung feststellen, unter Berücksichtigung der Lage der in den 1460ern errichteten "Krettlinskirche" lässt sich die damalige Stadttopografie großräumiger diskutieren.
Um 1500 bzw. im frühen 16. Jh. kippt die ein Jahrhundert alte Stadterweiterungsmauer Richtung See, die angrenzenden Bauten werden unbewohnbar. Dies führt zu aufwendigen Stabilisierungsmaßnahmen und Anschüttungen auf der Seeseite und zur vollständigen Neuerrichtung der Bebauung auf der Stadtseite. Der Schussenrieder Fluchthof wird qualitätsvoll neu errichtet, wobei der Hauptbau sich auf das Fundament der 100 Jahre vorher bodennah abgebrochenen älteren Stadtmauer zurückzieht. Die Nebengebäude, die sich an die im Aufgehenden sicherlich veränderte Stadterweiterungsmauer stützen, gehen schon im 16. Jahrhundert wieder ab, es ist zu vermuten, dass sie durch "archäologisch unsichtbare" Nachfolger auf leichten Schwellfundamenten ersetzt wurden.
1650 erwirbt das neugegründete Franziskanerkloster den Schussenrieder Fluchthof und die Krettlinskirche und fügt sie zu einem bis zur Hauptstraße reichenden Vierflügelbau zusammen. Im NNW-Flügel des Klosters dürften sich auch baulich relevante Bestandteile des Schussenrieder Fluchthofs erhalten haben - die Flucht ist dieselbe. Mit der Gründung des Klosters wird das seewärtige Stadtareal vermutlich erneut zu Gartenland. Es lassen sich bis in die Moderne keine massiven Bauten in diesem Bereich mehr nachweisen. Letztlich ist für das 16./17. Jh. ein zweistufiger Rückzug der Bebauung weg vom See zu konstatieren, nachdem sie im 14./15. Jh. erst in diese Richtung ausgegriffen hatte.
Nach dem Übergang an Württemberg 1806 wird das Kloster aufgehoben. Die Gebäude werden zunächst als Fruchtschütte genutzt, ab 1855 residiert die Oberamtei im ehemaligen Kloster. Noch im 19. Jahrhundert wird im südlichen seewärtigen Bereich ein von der Oberamteistraße aus erschlossenes Gefängnis errichtet, das bis 1972 Bestand hatte. Danach nutzte man das Gelände östlich des Gebäudekomplexes, den sich nun Stadtverwaltung und Polizei teilten, als Parkplatz, die an der Bebauung der Wurzacher Vorstadt ausgerichtete neue Polizeigarage bestand bis 2020.
Ein detaillierter Auszug aus dem Grabungsbericht kann hier heruntergeladen werden.