Kurzzusammenfassung der Untersuchungen 2012-2016 (Stand 2016), ehemals auf "Aktuelles"-Seite hinterlegt
Der aktuelle Forschungsstand nach den Grabungen 2015 in Kürze: Die Nehrener Burg ist - samt des zentralen, 9,3 x 9,8 m messenden Steinbaus - zweiphasig und geht bis ins Hochmittelalter zurück.
Älteste Befunde sind 2 Pfostengruben und eine flache Grube, die in den tonig verwitternden Schieferfels eingetieft sind. Die flache Grube enthielt ein Keramikfragment, das in vorgeschichtliche Zeit verweist, in einer der beiden Pfostengruben fand sich ein Kleinfragment der älteren gelben Drehscheibenware. Alle drei eingetieften Befunde waren holzkohlereich verfüllt: die Pfostenbauphase dürfte nach einem Brand aufgegeben worden sein. Zwei einschlägige C14-Proben erbrachten Daten von ca. 1020-1150 (2-Sigma, wobei die Zeit zwischen ca. 1055 und 1080 wg. des spezifischen Verlaufs der Kalibrationskurve nicht in Frage kommt) .Unmittelbar nach dem Ziehen der Pfosten wurde die gesamte Kernburg mit einer graubraunen Lehmplanie mit Kalksteinbruch aufplaniert. Diese Planie, auf welche unmittelbar der Burgenbau folgt, konnte an vielen Stellen aufgeschlossen werden und datiert mit einiger Wahrscheinlichkeit ins 11. oder das frühe 12. Jahrhundert. Damit stellt sich die Chronologie vermutlich wie folgt dar: Die "wahre" C-14 Datierung dürfte sich auf den Zeitraum von ca. 1020-1055 beschränken lassen, wozu man bei gewöhlichem Bauholz (z.B. Eiche, 70 Jahre) mit etwa 20-25 Jahre Aufschlag zu rechnen hätte, wodurch sich der Beginn der Pfostenbauphase auf die Zeit zwischen ca. 1040 und 1070 eingrenzen lassen dürfte. Da es ziemlich unwahrscheinlich ist, dass zur Zeit des Übergangs von Nehren und Hauchlingen an Hesso von First (1086-92) eine bewohnte Ortsburg in Nehren bestand, ohne dass dies in den Schriftquellen Niederschlag gefunden hätte, bedeutet dies vermutlich, dass man den Bau der ersten Nehrener Burg nach 1092 ansetzen sollte. Es ist gut möglich, dass wir in den Weihergärten eine Ministerialenburg des genannten Hesso, der bis etwa 1100 versucht zu haben scheint, sich um seine Höhenburg ein Territorium aufzubauen.
In die besagte Planie, welche kurz vor dem älteren, etwa 3-4 m tiefen Spitzgraben endet, ist die Baugrube des zentralen Steinbaus eingetieft. Der wohl am besten als "Festes Haus" anzusprechende Bau wurde in Zweischalentechnik mit reiner Lehmbindung errichtet. Seine 1,15 m starken Mauern ohne Fundamentvorsprung sind wegen der im 13. Jh. erfolgten nachträglichen Einmottung bis zu ca. 1 m Höhe im Aufgehenden erhalten. Möglicherweise war die Außenseite durch den Wechsel von grob quaderförmigen und plattigen Hausteinen bewusst gestaltet gewesen. Im festen Haus konnte eine vermutlich bauzeitliche Quermauer nachgewiesen werden. In Verbindung mit den Prospektionsergebnissen von 2012/13 ist anzunehmen, dass die nordöstliche Hälfte des Baus unterkellert ist. Da die Unterkante des Fundaments erst 2,80 m unter der heutigen Grasnarbe liegt, könnte sich dort ein volles Kellergeschoss befunden haben. Nach aktuellem Stand ist das feste Haus das einzige bekannte Gebäude der hochmittelalterlichen Burgenphase. Noch nicht klar ist, inwieweit die Kernburg in dieser Zeit gegen den Graben befestigt war.
Im Moment spricht viel dafür, dass die älteste Nehrener Burg nicht lange in Nutzung war. Gegenüber der zahlreich vertretenen Keramik des 10./11. Jhs. ist das 12. Jh. klar unterrepräsentiert. Ein Hiatus über weite Teile des 12. und 13. Jhs. ist anzunehmen. Tatsächlich scheint das feste Haus, als im späteren 13. Jh. (um 1280?) die Burg durch die niederadlige Sippe der Nerer wieder in Besitz genommen wurde, im Wesentlichen nur noch in den heute noch vorhandenen Grundmauern Bestand gehabt haben. Der Gebäuderumpf wurde bis zu seiner Oberkante mit Schieferbruch eingemottet - eine Reihe von kalkmörtelführenden Bauhorizonten, welche die neuerlichen Aufplanierungen durchziehen, zeigt die Gleichzeitigkeit mit den Wiederaufbaumaßnahmen an. Im Aufgehenden ist diese zweite Phase des zentralen Steinbaus praktisch nicht mehr vorhanden. Nur an einer Stelle im Südosten des Baus scheint die unterste Steinlage noch in Relikten vorhanden zu sein: Trifft diese Deutung zu, so war das nun mit Kalkmörtel aufgebaute Aufgehende gegenüber der älteren Bau deutlich zurückversetzt, das ehemalige Aufgehende bildete nun den Fundamentvorsprung des Neubaus. Der einzige formal ansprechbare Baustein dieser zweiten Phase wäre ein Haustein in der Außenschale. Da dieser sicherlich noch unter der damaligen Grasnarbe lag, bleibt weiterhin möglich, dass der eigentliche Aufbau aus Buckelquadern erfolgte - wie sie in der unmittelbaren Nähe der Burg zahlreich sekundär verbaut sind. Es gibt jedoch noch keinen Buckelquaderfund aus archäologischem Kontext.
Nach Neuerrichtung des zentralen Steinbaus erfolgten weitere Bauarbeiten auf der Kernburg. Im Nordwesten und Nordosten sind umfangreiche Fachwerkgebäude auf Schwellfundamenten zu rekonstruieren, welche ausweislich des Brandschutts, der an ihrem Ende steht, als (eigentliche?) Wohngebäude der ansässigen Adelsfamilie gewertet werden können. Die exakten Abgrenzungen der Bauten sind sehr schwierig, da die Fundamente nicht in die Schieferplanien hereinreichten, sondern lediglich auf diese aufgestellt gewesen waren. Damit liegen die weitestgehend ausgebrochenen Fundamente letztlich bereits im humosen Oberflächenbereich und sind nur schwer zu identifizieren. Über Störungen im Aufgabeschutt der Burg in Verbindung mit einzelnen größerformatigen behauenen Sandsteinen in den Ausbruchgruben könnte eine Rekonstruktion evtl. aber doch gelingen. Die Häuser (bzw. der Flügelbau???) scheinen bis direkt vor den Beginn des Geländeabfalls zum Graben gereicht zu haben. In der spätmittelalterlichen Phase gab es keine Wehrmauer um die Kernburg, auch keine Palisade. Lediglich ein schwaches Mäuerchen zur Einfassung der Oberfläche wäre denkbar. Auch der Graben wurde beim spätmittelalterlichen Ausbau der Burg neu gestaltet. In stratigrafischer Einheit mit den Schieferplanien auf der Kernburg wurde der ehemalige Spitzgraben mit Lehm ausgekleidet, wobei offenbar eine Sohlgraben-Form angestrebt wurde. Die relative Tiefe des Grabens blieb wegen der Aufschüttungen auf der Kernburg ungefähr gleich.
Das nordwestliche Fachwerkgebäude (bzw. der nordwestliche Gebäudetrakt) war mit einem ausgemauerten Halbkeller von etwa 5,5 m Kantenlänge teilweise unterkellert. Der Kellerhals führte nach Südwesten vermutlich zu einer Außentür im Gebäude. Die Auskleidung des Grabens lässt vermuten, dass dieser zur Wasserführung vorgesehen war.Beim in die 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts (um 1370/80?) zu datierenden Brand der nördlichen Fachwerkteile der Burg brannte es auch im Keller selbst - die Innenwände sind teilweise deutlichst brandgerötet. Leider hat sich die Hoffnung nicht erfüllt, am Boden des Kellerraums auf Brandschutt in situ zu stoßen. Der Keller muss nach dem Brand noch einmal begangen worden sein, sogar die auf dem Boden zu rekonstruierenden Steinplatten wurden größtenteils geborgen. Gleichwohl lässt sich aus der Brandschuttverfüllung die Wohnfunktion des Gebäudes rekonstruieren, das soziale Niveau der Funde verweist klar auf adliges Wohnen. Dass der Fachwerkbau mindestens einen repräsentativen Ofen aufgewiesen hat, zeigen die Relikte eines mitten im Brandherd zu lokalisierenden Nischenkachelofens.
Inzwischen ließ sich auch für die spätmittelalterliche Burgphase ein C14-Datum gewinnen, wobei es sich in diesem Fall gesichert um Bauholz handelt, das zu einem der großen Fachwerkbauten gehört haben dürfte und mit dem weiteren Brandschutt im Graben entsorgt wurde (die Burg wurde nach dem Brand aufgegeben, der Graben war funktional nicht mehr nötig). Das 2-Sigma Datum deckt die Zeit 1228-1284 ab, weshalb man mit dem Bau des abgebrannten Gebäudes etwa zwischen 1260 und 1310 (wahrscheinlichster Bereich: spätes 13. Jh.) rechnen kann. Damit könnten die Fachwerkbauten bereits der Grundkonzeption der vermutlich um 1280 durch C. dictus Nerer wieder aufgebauten Burg angehören.
Eher nicht mit den abgebrannten Fachwerkgebäuden (Flügeln?) in Verbindung standen Gebäude im Osten und Süden des Turms: Östlich eine die zu einem leichten Gebäude, vielleicht nur zu einem Pferdeunterstand, gehörige Ausbruchgrube zu belegen, eine zugehörige Streuung von Nonnenziegeln bezeugt dessen Eindeckung. Im Süden der Burg befindet sich der geoelektrischen Prospektion zufolge eine relativ umfangreiche Schuttstreuung, weshalb hier evtl. auch ein Massivgebäude platziert gewesen sein könnte. Beim randlichen Anschnitt der Streuung konnten bislang aber nur Nonnenziegel nachgewiesen werden. Das südliche Gebäude dürfte den Zugang zur Burg flankiert haben, der mit hoher Wahrscheinlichkeit nach Südosten Richtung Kappelstraße erfolgte. Dort, auf der anderen Seite der Kappelstraße, dürfte sich auch die wohl zur Burg gehörige Kapelle befunden haben - unmittelbar beim Gebäude Kappelstraße 16, wo bereits im 18. Jh. Gräber angeschnitten worden waren. Hochspannend ist die Frage, ob die Gräber Adelsbestattungen repräsentieren könnten - und wenn ja, zu welcher Phase sie zu rechnen sind.
Neben den inzwischen bekannten Burgenphasen der Zeit um 1100 und ca. 1280-1370/80 käme nämlich auch eine ältere, nicht in den Weihergärten selbt zu lokalisierende Herrenhofs- bzw. Niederungsburgphase in Frage: In der hochmittelalterlichen Planierschicht in den Weihergärten fand sich neben weit ins Frühmittelalter - und sogar in die Römerzeit - zurückreichenden Einzelscherben das Randstück einer Topfkachel der älteren gelben Drehscheibenware (10./11. Jh.). Damit ist ein in unmittelbarer Nähe gelegener früher Hochadelssitz in Nehren weiterhin denkbar. Heißester Kandidat für die Suche nach einem solchen wäre die engere Umgebung der noch nicht exakt lokalisierten Kapelle - an der auch noch andere ungeklärte Fragen hängen. So etwa die, ob das Gewann "Totenweg" am alten Weg nach Gönningen etwas mit der Nehrener Kapelle zu tun haben könnte. Von frühen Adelsbeziehungen nach Gönningen berichtet nämlich schon Crusius, auch wenn der dargestellte Kontext wohl fehlerhaft ist..
Weiteres, insbesondere zur spätmittelalterlichen Bauphase und dem zugehörigen Geschlecht der Nerer, ist dem Online-Ableger des Nehrener Geschichtspfads zu entnehmen.